Der Medizinmann, in allen Weltkulturen als eine unaufhörlich höchst geachtete Instanz, hat seine modernen Nachfolger gefunden. Aber die Gesundheits-Versorgung der Menschen außerhalb der großen Städte ist längst ein brennendes Problem und ein Politikum. Der Landarzt wird zur Rarität. Mit teilweise bereits unabsehbaren Folgen. „Unser“ Martin Fahringer war Zeit seines Lebens so ein Landarzt. Jetzt hat er aufgehört. Das Erfreuliche: Die Nachfolge ist bestens geregelt.

Dorfdoktor zu sein heißt mehr als Tinkturen zu verordnen und Wässerchen zu verschreiben. Ein Landarzt ist Seelenbriefkasten und Letzte Instanz in einem. In seiner Ordination mochte es noch so wuseln und hüsteln und unaufhörlich schwatzen. Der Martin war der Fels. Fast ein Vierteljahrhundert. „Herr Doktor Fahringer“ sagten allein diejenigen, die keine Eingeborenen der Unteren Schranne waren. Sein kleines Reich, in dem ihm seine unerschütterlich liebenswürdigen Damen alles Unerfreuliche vom Leibe hielten, war wie ein Schauplatz einer lebenden Dorfchronik.

Das WIR stand immer über dem ICH. Sein Team war wie verschworen. Im Sekretariat, im Labor, als Sprechstundenhilfen. Und wenn drei Handys gleichzeitig läuteten, wurde jede/jeder freundlich nach Wohl und Wehe befragt.

Der Beruf des Sprengelarztes bleibt unaufhörlich Knochenjob. Jeder Tag ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie, was drin ist. Wochenenddienste, nächtliche Notfälle. Schwere Kollisionen im Schnee bei Eisglätte, Notrufe aus entlegenen Bauernhöfen bei strömendem Regen in stockfinsterer Nacht, nur über Waldwege zu erreichen.

Aber in der Sprechstunde zählte auch das nur scheinbar Nebensächliche, es blieb wichtig: Er wusste um die eingewachsenen Fußnägel vom Urgroßvater, er kannte die  nicht ungefährliche Schwäche der hochbetagten Heimbewohnerin für schwarz gebrannten Obstler. Er verzichtete mitunter auf das enervierende Studium der dicken Krankenakte, wenn es um einen ausgiebigen Ratscher mit dem alten Bauern ging. Verwitwet, einsam geworden. Das Wort von Mann zu Mann wurde zum Pflaster für die Seele. Er war immer so wie sie: wirres Haar, randlose Brille, bunt kariertes Hemd, offener Kragen, Jeans, Turnschuhe. Halbgötter in Weiß sehen anders aus, in gestärkten, gebügelten Kitteln. So etwas anzuziehen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er wusste sehr wohl, was Demut bedeutet und er feilschte am Telefon höchstpersönlich mit Krankenkassenbürokraten um Kuren und Rehas, füllte lange Formulare aus, um finanzielle Sorgen bei der Behandlung abzufedern.

Ein Bauernsohn, Jahrgang 1959, von einem paradiesisch gelegenen Anwesen stammend, das seit den Zeiten von Maria Thersia die Hof-Brennrechte besaß und bis heute mit köstlichsten Destillaten ausschöpft, musste er wie seine Schwester und seine vier Brüder jeden Tag bei Wind und Wetter von Fritzing eine Stunde zur Schule stapfen. Das bläht die Lungen und schärft den Blick auf die Natur. Das lehrt, auf Schwächere zu achten, vor vermeintlich Stärkeren nicht zu kuschen, Verantwortung zu übernehmen, wachsam zu bleiben. Er wurde zu dem, was die Leute im Dorf gern und voll Respekt „Gschdudierter“ nennen und eröffnete nach Jahren des Dazulernens bei erfahrenen Kollegen 1998 die Praxis in seiner Heimat.

Längst ist er ein Urgestein in der dörflichen Gemeinschaft. Bekannt wie ein bunter Hund, wenn  er auf seinen Motorrädern die Runden von Patient zu Patient drehte. Immer ein aufmunterndes Lachen ohne Rezeptgebühr. Manch sonderbare Zusatzaufgaben bekam er bei Hausbesuchen. Bild aufhängen, Klavier reparieren, Katze füttern, den Hund rauslassen.

Er profilierte sich über viele Jahre als kritisch gegenüber der Pharmalobby, er scheute sich nicht, über Cannabis und dessen positive Wirkungen laut nachzudenken, er zeigt keine Scheu, die zwangsimpfende Covid-Politik zu hinterfragen, in Wien zu demonstrieren und die Auswirkungen dessen, was die Regierenden verordneten, sehr skeptisch zu betrachten …

Auf ihn wartet die Altersunruhe. Wartet die Ducati, mit der er ganz gern mal in sechs Tagen bis zur portugiesischen Atlantikküste vorprescht. Nicht immer den Geschwindigkeits-Beschränkungen in geschlossenen Ortschaften gehorchend. Auf ihn wartet die Neugier, einem Kunstschmied helfen zu dürfen und auf ihn warten zwei Töchter, zwei Söhne, drei Enkelkinder und seine Nina, mit der das gemeinsame Leben in ruhigere Bahnen gerät. Mitunter …

p.a.
(Foto: Will)