Vorfahren vom Bergdoktor

Eine nicht ganz wissenschaftliche Zeitreise durch die Gesundheitsgeschichte in und um Kössen

Die Gemeinde Kössen hat dieser Tage gute Gründe, mit Zufriedenheit auf ein rundum gelungenes Projekt zu schauen. Von ein paar korrekturbedürftigen „Kinderkrankheiten“ abgesehen, erweist sich das Sozialzentrum des Sprengels Kössen-Schwendt als vorbildliche Einrichtung. Nicht allein die Älteren und Hilfsbedürftigen werden Nutznießer sein. Auch die Einrichtung einer großräumigen Gemeinschaftspraxis mit Ärztin und Arzt, die mit den Menschen vor Ort über alle Generationen hinweg vertraut sind, verschafft Kössen eine sehr gute Ausgangsposition bei der Betreuung durch den „klassischen“ Dorfdoktor, der vielertorts zu einem Problemfall geworden ist, weil die Nachrückenden in die Städte und Universitätskliniken abwandern. Es geht (auch) ums liebe Geld. Und mit­unter um Neid. Alles schon einmal dagewesen …

Zehn Gulden musste der Peter Hinterberger  durch „Grafschaftliches  Urtheil“ vom 1. April 1766 berappen, weil er „durch Curierung von verschidenen Persohnen Beeinträchtigung“ über den Wundarzt von Kössen gebracht hatte. Der Hinterberger war der Mesner zu Schwendt und geschäftstüchtig genug, nach der Messe den alten Weiberln und den kränkelnden Mandern die eine oder andere obskure Tinktur zu bemessen und zu mischen. Die wohl auch half, sonst fände sich ja der Terminus „Curierung“ nicht. Aber! Das „geht glei gor nit“.

Befand jedenfalls der Huber zu Kössen, den wir ab 1775 auch ganz offiziell im Grundsteuerkataster von 1775 ausmachen können. Dabei war der Hinterberger alles andere als dumm. Denn er hatte seine Schwendter Praxis nahe dran beim Patienten, just an der Kirche, wo sich selbige des Sonntags allesamt zu tummeln hatten.

Das ist heute anders. Ganz anders ….

Männer mit hervorragenden medizinischen Kenntnissen hatten schon die Römer. Der berühmteste Armee-Medikus freilich war einer, der es gar nicht werden wollte und der dann auch vorzeitig die Segel strich. Am 16. Januar 1773 trat auf der Solitude nahe von Stuttgart ein schwächlicher Knabe (der sein Lateinexamen mit Müh und Not bestanden hatte) an, um auf der württembergschen „Militärpflanzschule“ zum Regimentsarzt ausgebildet zu werden. Er trug bei seinem Eintritt ins Studentenleben ein blaues Röcklein, besaß 15 lateinische Bücher und hatte dreiundvierzig Kreuzer in der Tasche. Aus alledem wurde nichts. Er war ein Tagträumer, verfasste Gedichte, magerte ab, desertierte. Musste sich verstecken. Ein Taugenichts. Sein Name? Friedrich Schiller …

Der „löbliche Medicus“ in der Welt der Zivilisten war eine eher urbane Institution, angesehen in der Stadt, Hand in Hand mit dem Apotheker wirkend. Ein kostspieliges Unterfangen für Patienten, diese Ehrenmänner zu beschäftigen. Beide hatten ein

Studium mit umfangreichen Examina zu absolvieren, die Arzthonorare dementsprechend stattlich. Die Pastillen, Salben und Tränke vom Apotheker auch nicht besonders preiswert. Ihr Wissen ließen sie sich vergolden.

Fürs etwas Gröbere waren die Bader zuständig. Ihr Werkzeug: saubere Schalen aus Zinn, mitunter aus Silber, scharfe Messer, kleine Scheren und heißes (halbwegs …) reines Wasser. Als „Bartputzer“ fingen sie an, aber gut Ding will gut Namen haben und so wurden sie allmählich zu „Barbieren“, und schließlich nannte sich der Fortschrittliche schon wohlklingend „Balneator“.

Die Bauern, die Leut‘ am Land, blieben lange von alledem abgeschnitten. Zu ihnen kamen Heilsbringer und Leidlinderer sporadisch. Wenn Jahrmarkt war im Dorf, tauchten sie auf. Die Wundärzte, die Steinschneider, die Starstecher, die Zahnbrecher. Lautstark priesen sie ihr Können, listig feilschten sie ums Honorar und bestanden auf Vorkasse. A Hetz is gwesn, zuzuschauen, wie dem wimmernden Amtmann der faule Backenzahn gezogen wurde und der giftigen Altbäuerin die Warze auf der Nase weggebrannt wurde, dass es noch im Kirchenwirtskammerl nach verdorbenem Fleisch stank.

Dass dies so auf Dauer nicht weitergehen sollte, war der Obrigkeit klar. Das Herumdoktern wurde in Bahnen gelenkt, schon auch deshalb, um von Amts wegen besorgt auf die Rechtmäßigkeit schauen und mit Konzession und Privilegierung saftige Steuern erheben zu können. Badstuben wurden zu Institutionen. In Kössen beispielsweise wirkte seit 1823 auf „Gut Bauerbader“ der „Chyrurg“ Georg Schlechter. Bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein gab es in Kössen die Niederachener Badstube und die Waidacher Badstube. Dort steht heute ein Sporthotel. Mit Schwimmhalle, Saunawelt, Spa und Wellness. Alles schon mal da gewesen …

p.a.